Ortsunabhängiges Arbeiten als Jurist

Die Vorstellungen davon, in welchem Umfeld man als Anwalt zu arbeiten hat, sind recht klassisch: angemietete Büroräume, ReFa im Empfangsbereich, Schild raushängen. Und auch Unternehmensjuristen und sonstige Angestellte kennen es nicht anders: morgens fährt man ins Büro. Man kämpft sich mit dem Auto durch den Verkehr oder steht in der vollen S-Bahn. Im Winter wartet man vielleicht noch längere Zeit auf dem zugig-kalten Bahnsteig, weil die Bahnen wegen des Schneefalls unregelmäßig fahren. Montagfrüh kommt man ins Büro und blickt regelmäßig in müde, wenig motivierte und latent mürrische Gesichter, denn: es ist ja Montagmorgen. Klar. Wer ist da schon gut drauf?

Tue, was Du liebst und Du wirst keinen Tag mehr arbeiten.

Doch, wenn man genauer hinschaut, ist dieser Montagmorgen-Blues an sich nur eine Attitüde jener (meist) Festangestellten, die wenig örtliche und zeitliche Flexibilität besitzen und als Weisungsempfänger mit ihrem Job unzufrieden sind.  Letztlich sind diese Probleme oft hausgemacht, denn man hat ja immer eine Wahl. Love it, change it or leave it. Das ist kein abgedroschener Spruch, sondern eine Formel, die man auf viele Lebensbereiche anwenden kann (und sollte).

Im Sommer in Berlin, im Winter auf Bali – Digitale Nomaden

Und wenn man ein wenig recherchiert, findet sich auch Licht am Ende des Tunnels, denn es gibt da eine kleine, feine und langsam, aber stetig wachsende Szene von Leuten, die das Alles etwas anders handhaben. Sie nennen sich digitale Nomaden und sind quasi die Speerspitze einer Bewegung, die sich die unfassbar vielfältigen Möglichkeiten des Internets zu Nutze macht. Mit Schnittmengen zu Themen wie Arbeit 4.0 / New Work, Selbstverwirklichung, Persönlichkeitsentwicklung, Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit sowie einer Portion Reiselust ausgestattet, schaffen sie sich ein neues (Arbeits)Leben. Als Unternehmer, Freiberufler oder Freelancer reisen sie alle paar Monate umher und arbeiten von unterwegs aus oder sie entscheiden sich für Deutschland als Lebensmittelpunkt und verschwinden nur während des Winters für ein paar Monate in tropische Gefilde. Allein dieser Gedanke klingt doch schon verlockend, oder?

Freiheit, die ich meine

Arbeiten wo man will, mit wem man will, für wen man will und woran man will? Klingt phantastisch, oder? Klingt eher unmöglich, meinen Sie? Man sei ein realitätsfremder Träumer? Mitnichten! Es ist gar nicht so schwer. Sehen Sie selbst:

  • Arbeiten wo man will: Die Digitalisierung macht’s möglich, dass ein Jurist mit elektronischer Akte, stabiler Internetverbindung, Telefon und Notebook ausgestattet, theoretisch (jedenfalls zeitweise) von überall auf der Welt aus arbeiten kann. Ein gewisses out-of-the-box-Denken ist natürlich unabdingbar. Die moderne Kanzlei auf dem Weg zum papierlosen Büro hat sicher einige der “virtuellen Helferlein” schon implementiert: Mit Hilfe von virtuellen Assistenten, dem Outsourcen von Sekretariatsaufgaben wie etwa der Telefonannahme und der Möglichkeit, mit Mandanten via Skype zu kommunizieren, lässt sich die Ortsunabhängigkeit organisieren.
  • Arbeiten mit wem man will: Zu dem Modell des ortsunabhängigen Arbeitens gehört es in der Regel, selbständig zu sein. Im Angestelltenverhältnis ist es oft noch schwer umsetzbar, da viele Arbeitgeber bezüglich Themen wie Homeoffice oder gar ortsunabhängigem Arbeiten leider noch so ihre Vorbehalte haben. Selbständigkeit eröffnet einem die Freiheit, selbst zu entscheiden, mit wem man täglich zusammensitzt: ob man als Unternehmer eigene Leute anstellt, als Freelancer mit anderen Freelancern in Coworking spaces (in Berlin oder auf Bali) sitzt oder einfach nur zuhause arbeitet – den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Man hat die Wahl.
  • Arbeiten für wen und woran man will: Juristische Arbeit ist längst nicht mehr nur an Papierakten und ein festes Büro gekoppelt. Es finden sich viele Beispiele von Juristen, die sich aus etablierten Zusammenhängen gelöst haben und buchstäblich neue Wege gehen. Da gibt es den etablierten Sozius Mitte 50, der sich aus den Kanzleistrukturen löste und nun – ortsunabhängig arbeitend – Andere in Sachen Impressum, abmahnsichere website und – natürlich! – DSGVO fit macht. Oder das Juristen-Paar, das – nachdem die Kinder flügge sind – das große Haus verkaufte, nunmehr bereits seit einigen Jahren um die Welt reist, von unterwegs Beratungen durchführt und podcasts aufnimmt. Oder der Junganwalt, der sein Legaltech-Unternehmen aus dem Ausland steuert. Oder, oder, oder….

Im Netz finden sich unter Begriffen wie “digitale Nomaden” oder “digital nomad lawyer” eine Vielzahl von Quellen zum Thema ortsunabhängiges Arbeiten im Allgemeinen und als Jurist im Besonderen, sei es bei der DNX community auf Facebook, in podcasts (Folge mit dem Rechtsanwalt Ronald Kandelhard), auf blogs oder nomadlist.

Ortsunabhängiges Arbeiten schafft eine – auch zeitlich – weitaus größere Flexibilität, die es ermöglicht, sein Kind aufwachsen zu sehen, mehr Zeit mit den eigenen, älter werdenden Eltern zu verbringen oder öfter Urlaub zu machen und währenddessen auch zu arbeiten (sog. workation).

Sofern Sie bereit sind, klassische Denkmuster fallenzulassen und sich offen und kreativ zeigen, gibt es mittlerweile – dank Digitalisierung – unzählige Möglichkeiten. The sky is the limit. Viel Spaß!